Aufregendes, Spannendes und Wunderbares. Interview mit Ilka, 66
„Es gibt eigentlich nichts, was mich nicht interessiert.“
Ilka und ich treffen uns im kuscheligen Workspace bei 4Walls im Herzen Hamburgs. Ein Tee und Espresso stehen bald vor uns. Ilka ist ein Energiebündel und hat immer ein Lächeln im Gesicht. Ich habe sie als unternehmungslustigen aber auch sehr reflektierten Menschen kennengelernt und bin gespannt, was sie mir zu erzählen hat.

Andreas: Liebe Ilka, du bist 66 Jahre jung, offiziell schon im Ruhestand, arbeitest aber im Moment noch in einem Hotel. Was machst du genau, arbeitest du noch Vollzeit oder Teilzeit, wie hat sich das in den letzten Jahren entwickelt?
Ilka: Ich arbeite schon seit sehr, sehr langer Zeit im Hotel, allerdings durch einen Zufall. Ein Freund hat vor Jahren ein Hotel gekauft und zu mir gesagt: Ich brauche jemanden am Wochenende für die Rezeption, hast du nicht Lust?
Ich bin gelernte Im- und Exportkauffrau, habe für große Firmen gearbeitet, und nach der Geburt meiner Tochter habe ich Teilzeit gearbeitet, um für sie da zu sein. Also habe ich freudig und neugierig Ja gesagt, natürlich, weil es eine willkommene Abwechslung war.
Andreas: Das heißt, diese sehr drastische Art der Veränderung hat dich nicht verängstigt, sondern hat dich begeistert?
Ilka: Ja, ich fand das total spannend. Das Hotel war noch gar nicht ganz fertig, und wir haben zusammen von der Pike auf angefangen. Keiner von uns hatte so richtig Ahnung. Aber es gab natürlich noch andere Leute, nicht nur uns beide. Wir waren eine super lustige Truppe der Ahnungslosen (lacht). Aber es hat funktioniert. Und wir hatten so viel Spaß, das kannst du dir nicht vorstellen. Es war Freude und es war mit Menschen für Menschen. So ein Traum, wenn man das von seinem Job sagen kann. Im Prinzip noch eine Ausbildung on top. Mit der Zeit habe ich dann die Hotelleitung übernommen.
Mittlerweile arbeite ich in Teilzeit. Zum Glück habe ich rechtzeitig angefangen, meine Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr von mir, meinen Gelüsten auf das Leben, meinem Partner und der Familie zu haben. Ich habe einfach Nein gesagt zur Außenwelt und Ja zu mir. Vor rund zehn Jahren war das.
Andreas: (schmunzelt) Was machst du denn mit deiner vielen, vielen Freizeit?
Ilka: Ich habe mich in meinem Leben noch nie gelangweilt. Ich weiß gar nicht, wie man das schreibt. Es gibt so viele Dinge, die ich mag, es gibt so viele Dinge, die mich interessieren. Es gibt eigentlich nichts, was mich nicht interessiert. Ich bin interessiert an Menschen, am Leben. Ich gehe gerne zum Sport, koche leidenschaftlich gerne, und alles was handwerklich ist, finde ich herausfordernd. Ich liebe beispielsweise Baumärkte (lacht).
Andreas: Du lernst also auch gerne noch dazu?
Ilka: Absolut! Ich habe z.B. noch nie so viel über Politik gelernt, wie in den letzten vier Jahren nach Corona. Egal welches Thema, ich sehe es als eine große Chance zu sagen: Ich kann, ich möchte, ich darf, aber ich muss nicht. Ich muss gar nichts. Und das eröffnet eine neue Welt in meinem Kopf, meiner Seele. Und dann schaue ich es neugierig an. Diese Chancen möchte ich mir nicht entgehen lassen.
Und nebenbei trotzdem noch zu arbeiten, gebraucht und gefordert zu werden und es schön finden, mit den Menschen zusammen zu sein, für die man auch Verantwortung hat. Einfach, weil es so viel Freude macht.
Andreas: Im Prinzip heißt das: Seine Zeit so zu gestalten, wie man möchte, ohne den ursprünglichen Druck, jemanden zu versorgen, ohne Ende Geld verdienen zu müssen. Man tut es, weil es Spaß macht, weil es bereichert. Freizeit und Job mischen sich dann. Sie werden nicht betrachtet, als würden sie nicht zusammengehören.
Ilka: Ganz genau.
Andreas: Du hattest im Vorweg des Gesprächs von einem nahestehenden Verwandten gesprochen, der den so genannten Pensionierungsschock erlitten hat und dem es dann gar nicht gut ging. Viele Leute stehen irgendwann vor dem Ruhestand und sagen: Ich höre auf zu arbeiten, und ich weiß gar nicht so richtig, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Wie wichtig ist es, sich rechtzeitig darüber Gedanken zu machen?
Ilka: Wenn jemand immer und immer gearbeitet hat, immer funktioniert hat, vielleicht auch nach einem inneren Muster, das man aus der Vergangenheit in sich trägt, oder das einem vielleicht über den Job übergestülpt wird, weil der Job dir sagt, wie du zu funktionieren hast, dann sollte man tatsächlich rechtzeitig anfangen, sich umzusehen, und versuchen zu entdecken, was das Leben noch so alles Aufregendes, Spannendes und Wunderbares für einen bereit hält.
Dann kann man sich ganz einfach fragen: Wer bin ich eigentlich, was brauche ich, was möchte ich, und was bedeutet Zeit eigentlich für mich? Ist Zeit eigentlich nur der Feierabend? Was mache ich eigentlich am Wochenende? Bin ich dann wirklich in der Lage, abzuschalten und loszulassen? Kann ich nichts tun, bewusst nichts zu tun? Kann ich loslassen und das bewusst genießen? Kann ich vielleicht ein verschüttetes oder nicht gelebtes Hobby wieder um Leben erwecken und wache ich dann morgens auf und erwische mich bei dem Gedanken: Ich habe gar keine Lust mehr, morgen zur Arbeit zu gehen, ich könnte jetzt auch weiterhin durch die Museen streifen, oder was auch immer man für sich ausprobiert hat, dann ist man schon auf dem richtigen Weg.
Andreas: Es ist also gut und wichtig, Zeit mit sich selber zu verbringen.
Ilka: Ja, man definiert sich dann über sich selbst und nicht mehr über die Arbeit oder das Urteil von anderen. Dann kann man sich fragen: Brauche ich dieses Gefühl von Sicherheit, die ja eigentlich nur eine Schein-Sicherheit ist? Muss ich alles kontrollieren? Kann ich mal loslassen? Kann ich mal einfach nur im SEIN sein und nicht nur im HABEN? Kann ich einfach Mensch sein mit all meinen Bedürfnissen?
Andreas: Hättest du spontan einen Tipp für jemanden, der zu sehr an seiner Arbeit klammert, an Kontrolle und Routine? Was kann er probieren, um davon loszukommen und freier zu werden?

Ilka: Yoga und Meditation sind natürlich ganz toll, auch für die mentale Stärke, um sich wieder zu erden, sich zu spüren, Achtsamkeit und der Selbstliebe wieder aktivieren. Man kann auch allein im Wald spazieren gehen und sich dabei vielleicht verlaufen – da muss man sich plötzlich auf sich selbst verlassen. Ja, muss, aber auch darf und kann! Einfach mal zu sagen, ich lasse mal alle Ängste los, ich bin ja in Sicherheit. Was kann mir eigentlich passieren? Denn es gibt keine wirkliche Sicherheit und keine Garantien. Sicher ist nur, dass wir irgendwann das Zeitliche segnen. Aber bis dahin ist die Lebenstüte noch randvoll!
Der Gedanke hat mir immer geholfen: Egal ob es der Job ist oder die Rente. Selbst das, was wir im „Außen“ besitzen, kann uns morgen weggenommen werden. Was man uns nicht wegnehmen kann ist das, was du innerlich besitzt: Also deine innere Stärke, deinen Verstand, deine Spiritualität, deine Seele und deine Resilienz. Somit kann jeder versuchen, locker nach vorn zu gehen und es gibt nichts, was du nicht schaffen kannst, wenn du es nur möchtest. Sogar ein Instrument oder eine neue Sprache stellen kein Hindernis dar. Unser Gehirn rostet nicht; Synapsen erneuern sich immer wieder, auch im Alter!
Es kann auch wunderbar sein, einem Tier ein liebevolles Heim zu geben, die Natur neu zu entdecken, ob zu Land oder zu Wasser, um zu sehen, was das mit dir macht. Hier könnte ein lang ersehnter Urlaub helfen, das Herz zu öffnen und verschütte Sehnsüchte zu aktivieren.
Andreas: Oder man schafft sich einen Partner an (lacht). Es gibt ja viele Menschen heutzutage, die gar keinen Partner mehr haben, sondern die alleine leben. Hältst du es für schwieriger in den Ruhestand zu starten, wenn man alleine ist? Man man dann ja auch tagsüber keinen sozialen Austausch mehr.
Ilka: Den halte ich tatsächlich für sehr wichtig. Ich brauche ja einen Menschen, mit dem ich kommunizieren kann. Jemand, der mich spiegelt. Der mich auffängt. Der mich spürt. Der sieht, was mit mir passiert. Gerade in diesen Momenten.
Mein Leben ändert sich plötzlich. Ich verlasse die eingefahrene Bahn und jetzt plötzlich macht sich eine neue Tür auf. Ich will ja nicht im Rahmen stehen bleiben, sondern ich will reingehen und möchte das erleben, was hinter dieser Tür ist: die Freiheit. Vielleicht brauche ich dann jemanden der mich fragt: Woran hast du Spaß? Und ich unterstütze dich dabei. Das kommt ja noch dazu. Und wenn du niemanden hast, der das leisten kann, dann stellt sich die Frage: wie stark bist du selber und kannst du die Dinge auch von alleine regeln?
Hat man keinen Partner, ist das kein Problem, denn es gibt so viele Gemeinschaften. Bei nebenan.de gibt es Gesprächsgruppen, Aktiv, -Sport, -Reise, -Spiele,- Tanz und anderes. Man ist vielleicht allein, aber nicht einsam oder von der Außenwelt angeschnitten, jedoch sollte man nicht warten, bis es an der Tür klingelt. Einfach losgehen! Und sich vielleicht auf ein Ehrenamt einlassen? Mein Partner und ich waren lange bei Mentor e.V. engagiert.
Der Verein arbeitet mit Grundschulen zusammen. In den ersten Klassen gibt es viele Kinder, die nicht lesen können und/oder ein schlechtes Text- und Wortverständnis haben. Gesucht werden Menschen, die Lust haben, einmal in der Woche eine Stunde in eine Grundschule in ihrer Nähe zu gehen und sich mit einem Kind zu verbringen. Um zu lesen, zu üben, zu lernen, aber alles spielerisch.
Man wird vorher geschult, tauscht sich aus, trifft sich regelmäßig mit anderen Mentoren, und es ist unglaublich wirkungsvoll, erhellend und befriedigend. Die Kinder sind so dankbar für die Zuwendung und lernen schneller, lockerer und spielerisch!
Daraus entwickeln sich übrigens tausend Ideen, was man mit den Kindern alles machen kann. Es setzt natürlich immer voraus, dass man sich selber noch, geistig und körperlich bewegen mag und Kinder liebt, dann spielt das Alter gar keine Rolle!

Andreas: Sport und Ernährung. Welchen Stellenwert haben diese beiden Dinge für dich?
Ilka: Oh, einen ganz großen! Gerade Ernährung. Ich achte sehr darauf, was ich esse, wann ich esse, und achte darauf, dass ich mich immer bewege. Ich bin sowieso kein Mensch, der acht Stunden auf einem Stuhl sitzen kann. Und dafür ist natürlich mein Beruf auch super, weil ich mich viel bewegen kann. Und bewegt man den Körper, bewegt sich auch der Geist und die Seele. Über den Sport passiert ganz viel im Kopf. Viel frische Luft, viel Natur, gerne auch das Wandern, Radeln – man muss ja nicht gleich in die Ferne schweifen.
Andreas: Was rätst du einem Sportmuffel? Wobei die Person ja nicht unbedingt ein Sportmuffel sein muss. Vielleicht geht sie einfach einem zeitintensiven Job nach und kommt immer spät nach Hause, ist morgens früh unterwegs oder arbeitet am Wochenende. Da fällt der Sport dann auch gerne mal unter den Tisch.
Ilka: Wenn man die Zeit findet oder sich nimmt, kann man sich ja lokalen Gruppen anschließen. Es gibt unheimlich viele Walking-Gruppen und das in jeder Stadt. Es gibt kleine Fitnessparcours mit allen möglichen Geräten und da wird ein bisschen Gymnastik gemacht. Dabei geht man hier in Hamburg an die Alster, aber nicht alleine. Parkrun nennt sich das und das gibt es überall in Deutschland und ganz Europa und ist daher sogar international besucht. Ansonsten kann man doch einfach jede Treppe nehmen, statt Fahrstuhl. Den PKW stehen lassen, lieber die Füße mal wieder spüren, das Fahrrad satteln,
Andreas: Was wäre ein besonderer Tipp von dir für den Beginn des Ruhestands?
Ilka: Ich würde auf jeden Fall erst einmal einen langen Urlaub machen, sofern es möglich ist, um einen geographischen Abstand zu bekommen, einfach mal raus aus dem System!
Zuhause, in Ruhe und für mich allein jeden Tag aufschreiben, was mir durch Körper, Geist und Seele geht. Und ich würde mir Fragen stellen: Wer bin ich, was möchte ich und was nicht? Wie möchte ich meine Zeit jetzt eigentlich konkret gestalten? Eine Liste mit Wünschen, Einfällen, Ängsten, Bedenken die Fantasie und vielleicht die Verrücktheit entdecken, Grenzen sprengen, auf Erkundungstour gehen. Das bringt einen unbedingt weiter! Einen großen Gesundheitscheck-Up machen lassen um zu schauen, ob eventuell Heilungsbedarf besteht! Das finde ich sehr wichtig!
Andreas: Oder auch: Was verunsichert mich im Moment noch? Wovor habe ich gegebenenfalls Angst? Dann grummelt es vielleicht irgendwie im Bauch. Dabei geht ja fast immer um Verlust. Es ist entweder materieller Verlust, Kontrollverlust oder Gesundheitsverlust.
Ilka: Es ist immer sehr wichtig, das Thema Angst und Sicherheit tatsächlich anzusehen und sich zu fragen: Was ist es genau, was ist meine größte Angst, denn wenn ich diese benennen kann, dann geht es mit besser, weil ich das reflektiert habe. Alle anderen Ängste treten dann zurück und das Leben wird plötzlich leicht.
Andreas: Ich danke dir für das Gespräch!
MENTOR – Die Leselernhelfer HAMBURG e.V. möchte, dass alle Kinder lesen können!
Es ist eine Organisation ehrenamtlicher Mentoren. Lese-, geschichten- und sprachbegeistert. Eine Initiative, die ihre Ziele als unabhängiger gemeinnütziger Verein verfolgt. Jeder Mentor betreut ein Kind und kann so auf individuelle Bedürfnisse des Kindes eingehen.
Mentor e.V. gibt es in vielen Städten Deutschlands.
Das Netzwerk nebenan.de ist eine Internet-Plattform zum Aufbau und Förderung von Nachbarschaften in einem bestimmten Ort oder Stadtteil.
Es geht um das Schließen neuer Freundschaften, um Nachbarschaftshilfe, die Teilnahme an Flohmärkten oder anderen Schnäppchenaktionen. Natürlich hörst du von Veranstaltungen und kannst Interessengemeinschaften bilden.
Du wirst einfach Teil einer lokalen Community.
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Achtsam in den Ruhestand
im Austausch mit anderen Boomern, machen wir uns gemeinsam auf eine Reise, die zu deinem ganz persönlichen Plan für den kommenden Lebensabschnitt führt.

Andreas Peters, Jahrgang 1965, waschechter Hamburger, Vater, vierfacher Unternehmensgründer mit dem Schwerpunkt IT aber auch New Work. Zweifacher Buchautor, Fotograf und auch Maler mit Ausstellungen. Ehrenamtliche Tätigkeit für die Handelskammer Hamburg in Schulen. Mehrfacher Weltreisender.
(…) wobei die Welt ja stets größer wird, je länger man sie bereist. Meine Jobs gegen Neugierde und Erfahrung einzutauschen, habe ich aber niemals bereut.